top of page

Erst verehrt, dann verleumdet

Für das Collegium Musicum Kleve, Juni 2024

 

Glaubt man den Berichten seiner Zeitgenossen, so war Antonio Salieri „ein höchst liebenswürdiger Mensch“. Der Mann, dem der Ruf anhaftet, Mozart ermordet zu haben, wurde seinerzeit als „freundlich und gefällig, wohlwollend, lebensfroh, witzig“ beschrieben. Zudem war er ein hochgeschätzter Dirigent, Pädagoge und der meistgespielte Opernkomponist seiner Zeit. Die Legende, er habe aktiv gegen Mozart intrigiert und ihn schließlich gar vergiftet, trieb vor allem nach Salieris Tod 1825 wilde Blüten – nicht zuletzt aufgrund diverser literarischer Adaptionen der Story. Obwohl die Behauptungen sich längst als falsch erwiesen haben, halten sie sich bis heute und trüben das Bild des einst so ruhmreichen Komponisten.

Der 1750 im Städtchen Legnago in der Republik Venedig geborene Salieri lernte bereits als Kind Violine, Cembalo und Gesang bei seinem Bruder. Nach dem frühen Tod seiner Eltern ging der 15-Jährige zunächst nach Padua und dann nach Venedig. Kurz darauf nahm ihn der Komponist Florian Leopold Gassmann mit nach Wien, wo er ihn am Hof von Kaiser Joseph II. einführte. Nach Gassmanns Tod übernahm er dessen Amt als kaiserlicher Hofkomponist und Leiter der Hofkapelle. (…)

Leichtfüßige Musik aus schwerer Zeit

r das Collegium Musicum Kleve, Januar 2024

​

Im Frühjahr 1778 reiste der 22-jährige Wolfgang Amadeus Mozart mit seiner Mutter nach Paris. Auf dem jungen Komponisten lastete ein enormer Druck: Kurz zuvor hatte er beim Erzbischof von Salzburg, mit dem es wiederholt zu Reibereien gekommen war, um Entlassung gebeten. Nun war er auf der Suche nach neuen Engagements, idealerweise einer Festanstellung. Entsprechend viel erwartete er sich von der Begegnung mit dem Pariser Adel, doch statt Anerkennung und finanzieller Sicherheit erntete Mozart fast nur Rückschläge: Kaum ein Werk von ihm kam zur Aufführung, Unterrichtsstunden und Kompositionsaufträge blieben unbezahlt. Schließlich starb im Juli 1778 auch noch seine Mutter, geschwächt von der Reise und den ärmlichen Verhältnissen in der Pariser Unterkunft. Der Verlust traf Mozart hart, doch er blieb in Paris und setzte seine Suche nach beruflichen Erfolgen fort – um schließlich, als diese ausblieben, schweren Herzens in den Dienst des ungeliebten Erzbischofs zurückzukehren.

Dass das Konzert für Flöte, Harfe und Orchester C-Dur in einer solch düsteren Lebensphase entstanden ist, merkt man dem leichtfüßigen Werk in keiner Weise an. (…)

Leuchtende „Bilder einer Ausstellung“

Für die Rheinische Post, 2022

Mit Bearbeitungen ist es so eine Sache. In vielen Fällen reichen sie trotz aller Kunstfertigkeit nicht an das Original heran, in anderen – wie etwa Maurice Ravels farbenprächtiger Orchestrierung von Modest Mussorgskys Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ – überstrahlen sie es sogar. Einen gelungenen Kompromiss bot die Fassung des Trios SpiegelBild, das anlässlich der Besonderen Reihe im Museum Kurhaus Kleve gastierte. Xavier Larsson (Saxophon), Vadim Baev (Akkordeon) und Konstantin Zvyagin (Klavier) haben
Mussorgskys Werk für ihre ungewöhnliche Besetzung zurechtgeschneidert und ließen die „Bilder einer Ausstellung“ mal kammermusikalisch intim, mal in orchestraler Pracht erklingen. Eine stimmigere Kulisse als den (ausverkauften) Saal des Museums hätte man sich dafür kaum wünschen können.
Modest Mussorgsky schrieb seinen berühmten Klavierzyklus im Andenken an seinen Freund, den Maler und Architekten Viktor Hartmann. Eine Gedächtnisausstellung mit dessen Zeichnungen und Aquarellen inspirierte den Komponisten 1874 zu zehn tiefgründigen musikalischen „Bilder
n“ – verknüpft durch das immer wiederkehrende Promenadenmotiv, das den Betrachter von einem Bild zum nächsten wandern lässt. (…)

Ringen mit dem Riesen

Für das Universitätsorchester der HHU Düsseldorf, 2018
 

Ihr Beginn gleicht einem Urknall: Mit magischer Kraft saugen die ersten Takte von Johannes Brahms’ c-Moll-Sinfonie den Hörer in die Musik hinein. Die Pauke hämmert gnadenlos das tiefe C, verstärkt durch die Kontrabässe, darüber verzweigt sich ein dichtes Geflecht aus hohen Streichern und Bläsern, gegeneinander laufend, ineinander verschränkt, immer größere Spannung aufbauend.
Dass danach die Intensität zunächst nachlässt, scheint fast unvermeidlich. Der Fluss reißt ab, einzelne Soloinstrumente dürfen klagende Melodien singen. Doch auch wenn die Musik nach der langsamen Einleitung neue Fahrt aufnimmt, bleibt ein geradezu düsterer Ernst spürbar, der den gesamten ersten Satz beherrscht.
Ganze fünfzehn Jahre brauchte Brahms, um seine Sinfonie zu vollenden. Wie die gesamte Komponistengeneration nach Ludwig van Beethoven, so spürte auch er dessen musikalisches Erbe als erdrückende Last auf seinen Schultern. Beethoven hatte mit seinen Sinfonien, besonders mit der bahnbrechenden Neunten, so hohe Maßstäbe gesetzt, dass es vielen Komponisten unmöglich schien, in dieser Gattung überhaupt etwas Neues zu schaffen. Noch mit fast vierzig Jahren schrieb Brahms resigniert an einen Freund, er werde wohl nie eine
Sinfonie komponieren, da er immer den „Riesen“ Beethoven hinter sich marschieren höre. (…)

Zukunftsmusik, quasi unspielbar

Für das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, 2016

„Ist es denn gestattet, dass jeder, dem es einfällt, einen andern oder viele andere hypnotisiert und dann mit den Leuten macht, was er will? So entrüstet sich Posdnyschew, der Anti-Held in Leo Tolstois Novelle „Die Kreutzersonate“, über Ludwig van Beethovens gleichnamige Violinsonate, die ihn im Innersten erschüttert. Er hält die wilde, unbändige Musik für höchst gefährlich – und ihretwegen ermordet er schließlich sogar seine eigene Frau: Die Amateurpianistin spielt die Sonate gemeinsam mit
einem befreundeten Geiger, den Podnyschew in krankhafter Eifersucht als seinen Rivalen empfindet.
Mit der Sonate A-Dur op. 47 für Violine und Klavier, bekannt als „Kreutzersonate“, wagte sich Beethoven weit über die Grenzen der Kammermusik hinaus. Das Stück ist mit rund vierzig Minuten nicht nur sehr lang, sondern auch sehr schwer – für für damalige Verhältnisse auch fast unspielbar. Bei der Uraufführung 1803, die der Komponist selbst am Klavier bestritt, konnten seine Zuhörer nichts mit dem Werk anfangen, so fremd und radikal klang die Musik für sie.
An Beethovens Seite musizierte damals der Engländer George Bridgetower, ein für sein extravagantes Spiel berühmter Geiger, für den Beethoven die Sonate ursprünglich auch geschrieben hatte. Zu ihrem Namen kam sie erst später, als der Komponist sich mit
Bridgetower zerstritten hatte und das Werk nachträglich dem französischen Geigenvirtuosen Rodolphe Kreutzer widmete – der es jedoch angeblich nie gespielt hat. (…)

Fragmente von zerbrechlicher Schönheit

Für das Kammermusikfest SPANNUNGEN, 2010


Die Texte Franz Kafkas hatten György Kurtág seit jeher fasziniert. Neben der Herkunft aus dem reichen jüdischen Bürgertum verbanden den Prager Dichter und den ungarischen Komponisten ihre künstlerische Kompromisslosigkeit, ihre extreme Sparsamkeit der Mittel und ihre erbarmungslose, mit tiefen Zweifeln verbundene Selbstkritik. Schon lange bevor Kurtág sich mit dem Gedanken einer Kafka-Komposition trug, notierte er sich aus dem Werk des Dichters immer wieder einzelne Passagen, die ihn persönlich ansprachen. Die Arbeit an seinem Vokalzyklus „Kafka-Fragmente“ begann er zunächst fast nebenbei, doch die Texte zogen ihn mehr und mehr in ihren Bann: „Ihre Welt aus knappen Sprachformeln, erfüllt von Trauer, Verzweiflung und Humor, Hintersinn und so vielem zugleich, ließ mich für anderthalb Jahre nicht mehr los.“
Der rund 60 Minuten umfassende Zyklus ist ungeheuer vielschichtig – und ein wahrer Marathon für Singstimme und Geige. Kurtág widmete das Werk der Psychologin Marianne Stein, die ihm in den 1950er Jahren einen neuen Weg zum Komponieren gezeigt und ihn so aus einer persönlichen Krise befreit hatte. Die insgesamt vierzig
Textausschnitte wählte der Komponist aus den Tagebüchern, Briefen und Nachlassfragmenten Kafkas aus und gliederte sie in vier Teile. Der Zyklus bildet also keine narrative Geschlossenheit, sondern erhält seinen fragilen inneren Zusammenhang gerade durch die Gegensätzlichkeit seiner Bestandteile. Er gleicht einer in unzählige Mosaiksteine aufgesplitterten Welt; einige Stücke sind nur wenige Sekunden lang. (…)

Alle Texte sind urheberrechtlich geschützt.

bottom of page